Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals etwas zum Thema „Beschneidung“ schreiben würde. Dieser Beitrag ist eine Reaktion auf den
Gastbeitrag von Markus Deserno im Blog von Christian Buggisch unter dem Titel „Beschneidung und Indoktrination“.Ich bin Physiker und Informatiker, und ich hänge keiner Religion an. Ich bin kein Jurist, ich bitte juristische Ungenauigkeiten zu entschuldigen. Sollten sich juristische Fehler finden, dann bitte ich, diese in den Kommentaren anzumerken.
Es geht um die Debatte über das
Urteil des Landgerichs Köln zur rein religiösen Beschneidung von Jungen. Dieses stellt fest, dass es sich bei der Beschneidung um eine
einfache Körperverletzung handelt.
Das Urteil berührt dabei drei Rechtsgüter, die im Grundgesetz verankert sind: das
Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes, das
Recht auf freie Religionsausübung der Eltern und das
Recht auf Erziehung der Eltern. Schließlich spielen auch
politische Überlegungen eine Rolle.
In dem Ausschnitt der Debatte, den ich bislang verfolgt habe, wurde vor allem über die ersten zwei Punkte sowie den letzten schon viel geschrieben. Deswegen möchte ich an dieser Stelle das Recht auf Erziehung näher beleuchten.
Das Recht auf Erziehung
„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ (Deutsches Grundgesetz, Art. 6, Abs. 2)
Markus schreibt: „Kinder gehören nicht ihren Eltern“. Das ist etwas polemisch für die Aussage: Eltern sollen nicht alle Entscheidungen für ihre Kinder treffen. Aber Vorsicht! Natürlich treffen Eltern Entscheidungen für ihre Kinder, und zwar ständig! Je jünger das Kind, desto mehr entscheiden die Eltern: wo es lebt, wie es lebt, was es isst, welche Sprache es spricht, usw.
Aus Sicht eines Säuglings sind die Eltern Gott. Allmächtig, allwissend.
In einigen wenigen Fällen mischt sich der Staat ‒ zu Recht ‒ in diese Entscheidungen ein. Eltern dürfen ihr Kind nicht körperlich züchtigen, Eltern dürfen ihr Kind nicht vernachlässigen. Im extremen Fall kann es so weit gehen, das Kinder ihren Eltern weggenommen werden.
Aber wie weit geht das, und wie weit sollte es gehn?
Was dürfen Eltern?
Viele würden mir jetzt vermutlich antworten: der Staat muss eingreifen, wenn das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit berührt ist. Aber was genau bedeutet das?
Sollen wir Eltern die Kinder wegnehmen, wenn die Eltern zu Hause rauchen? Immerhin setzen sie ihre Kinder damit der Gefahr von Lungenkrebs aus. Und was ist, wenn sie ihre Kinder nicht gesund ernähren? Oder wenn sie die Kinder vom Chinesischkurs zur frühmusikalischen Erziehung zum Kunstkurs schicken und das Kind dadurch dem Risiko von Bewegungsdefiziten und Haltungsschäden aussetzen? Oder wenn sie ihr Kind auf einen Baum klettern lassen, von dem es herunterfallen könnte? Oder wenn sie ihr Kind
nicht auf einen Baum klettern lassen, weil es dadurch wenig Selbstbewusstsein und Bewegungsdefizite entwickeln könnte? Auch das Abschneiden der Haare erfüllt den Tatbestand Körperverletzung
[1]! Heißt das, Eltern dürfen in Zukunft ihren Kindern nicht mehr die Haare schneiden?
Ich denke, an diesen Beispielen wird klar, dass Eltern natürlich auch Entscheidungen treffen (müssen), welche die körperliche Unversehrtheit des Kindes beeinträchtigen, und zwar nicht nur vorübergehend, sondern auch nachhaltig. Wie weit Eltern dabei in die körperliche Unversehrtheit des Kindes eingreifen dürfen, das zu entscheiden ist Aufgabe der Rechtssprechung.
Die Gesellschaft muss eine Linie ziehen zwischen Entscheidungen, die Eltern für ihre Kinder treffen dürfen, und Entscheidungen, bei denen sie sich einmischt. Ich bin mir nicht sicher, ob die Beschneidung (von Jungs!) auf dieser oder auf der anderen Seite der Linie liegt. Auf jeden Fall denke ich, dass es Entscheidungen gibt, die Eltern für ihre Kinder treffen, die wesentlich schwerwiegender sind.
Über das Recht des Kindes auf geistige Unversehrtheit und die Indoktrination von Kindern, von der Markus in seinen Beitrag auch schreibt, werde ich vielleicht morgen schreiben.